Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Rainer Maria Rilkes Schloss Muzot

Schauplatz

«Vorfrühling

Härte schwand. Auf einmal legte sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,

greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.»

Rainer Maria Rilke: Vorfrühling (20.2.1924)

Zu Gedicht und Autor

Seinen letzten Inspirations- und Arbeitsort hat Rainer Maria Rilke (1875-1926) in der Nähe von Sierre gefunden. Die Walliser Landschaft übte auf ihn einen «eigentümlichen Zauber» aus. «Der Umstand, daß in der hiesigen landschaftlichen Erscheinung Spanien und die Provence so seltsam ineinanderwirken, hat mich schon damals geradezu ergriffen: denn beide Landschaften haben in den letzten Jahren vor dem Krieg stärker und bestimmender zu mir gesprochen als alles übrige; und nun ihre Stimmen vereint zu finden in einem ausgebreiteten Bergtal der Schweiz!», schrieb er beglückt an eine Freundin.
Rilke, der Städter, lebte ab 1921 zurückgezogen auf Schloss Muzot, vollendete die berühmten «Duineser Elegien», machte tägliche Spaziergänge, pflegte und nutzte einen eigenen Garten, versank immer wieder in den Anblick der Täler und Hügel vor ihm: Es «bilden sich Länder vor einem als schüfen sie sich erst (...)». Kein Wunder, ist die Landschaft zu einem bestimmenden Thema in seiner späten Lyrik geworden. Er schrieb deutsche (Zitat) und französische Landschaftsgedichte, in denen jedoch das spezifisch «Wallisische» nur für Kenner, Kennerinnen auszumachen ist. Die «Quatrians Valaisans», die Walliser Vierzeiler, entstanden aus dem Gefühl für die «reine und großgeartete Landschaft». Eine «Walliser Stimme» habe sich in ihm erhoben, stark und unbedingt. Entstanden im September 1924, wollte Rilke die «Quatrians Valaisans» bei einem späteren Einbürgerungsversuch den Behören vorlegen – als Nachweis seiner Verbundenheit mit Land und Leuten. Doch dazu kam es nicht mehr. Der Dichter verstarb am 29. Dezember 1926 an Leukämie. Seinem Wunsch entsprechend wurde er auf dem Friedhof von Raron, Wallis, bestattet. (BP)

© Sierre Tourismus
Zum Ort

Schloss Muzot, erbaut im 13. Jahrhundert in der Nähe von Sierre, erhebt sich mitten aus Weinbergen und Obstgärten. Rilkes Einzug wurde, wie so oft in seinem Leben, durch grosszügige Gönner ermöglicht. Aber der Name täuscht – das Chateau war im Wesentlichen ein Wohnturm, spartanisch eingerichtet. Hier gab es kaum Ablenkungen und endlich, nach Jahren der Unruhe und der häufigen Ortswechsel, konnte Rilke sich wieder ganz seinen Dichtungen zuwenden. Er interessierte sich brennend für die Geschichte der alten Gemäuer und recherchierte zur Gespenstergeschichte des Schlosses: Als zwei Freier sich um eine Witwe duellieren, kommen sie beide um. «Isabell (...) verlor den Verstand und verließ Muzot nur noch nachts, die Sorgsamkeit ihrer Amme Ursule täuschend; fast jede Nacht konnte man sie, 'très legèrement habillée' nach Miège wandeln sehen zu dem Grabe ihrer beiden hitzigen Bewerber, und es geht die Sage, daß sie schließlich in einer Winternacht auf dem Kirchhofe zu Miège (...) erstarrt und tot wäre aufgefunden worden», notiert Rilke.