Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Carl Sternheims «Uznach»

Schauplatz

«Zweiter Aufzug, Erster Auftritt. Links Bodenseeufer, hinten links ein Badeschuppen, offen nach vorn, mit Bank, rechts vorn ein Baum, links vorn ein Liegestuhl. Thylla, Maud, Vane in der Hütte beim Auskleiden zum Bad. Auf der Bank unter dem Baum Mathilde.

Maud: Mathilde markiert Traum. Markiert ihn gut.
Thylla: Nein – die ist wirklich in innere Panoramen entrückt.
Vane: Stilleben eines Präraffaeliten. Beine nach Muster Rosetti von sich gestreckt.
Thylla: Busen, Hüften aber prall, Louis XV. Makartbukett. Und die Achselhaare nicht rasiert.
Maud: Irgendwie hat sie haushohe Hemmung.
Vane: Errötet wie eine Rose, überrascht man sie.
Maud: Poetisch ist sie, zärtlich nicht.
Vane: Probiertest du's? Ich passe auf!»

Carl Sternheim: Die Schule von Uznach oder Die Neue Sachlichkeit. Ein Lustspiel in vier Aufzügen (1926)

Wikimedia Commons/Günter Wieschendahl
Zu Schauspiel und Autor

Der Dramatiker Carl Sternheim (1878-1942) hat «Die Schule von Uznach oder Neue Sachlichkeit» in Uttwil am Bodensee geschrieben und 1926 veröffentlicht, mit einer Widmung an seinen Dichterkollegen Gottfried Benn. Der Dramatiker kam 1920 an den Bodensee und in das Dörfchen Uttwil, auf der Suche nach einem Refugium fernab von Politik und Kulturbetrieb – er kannte also die Region gut und die besondere Stimmung, die in diesem weiten See- und Landschaftsraum wirkt, floss auch in das «Lustspiel in vier Aufzügen» ein: In den Regieanweisungen ist von Badeszenen und Badehäuschen die Rede, von einer Ankunft mit dem Dampfschiff und von den «blauen Horizonten» des Bodensees.
Aber wo genau liegt Uznach? Jedenfalls nicht am Bodensee, sondern in der Nähe des Zürichsees – und von dort aus kann man von Terrassen und Balkonen, wie bei Sternheim beschrieben, beim besten Willen keine Blicke auf die Sommerstimmung am Bodensee erhaschen... Sternheims «Uznach am Bodensee» gibt es nicht, doch diese kleine fiktionsgeografische Finte ist schnell überlesen... Was es dagegen gibt, ist eben Uttwil. Und mit grosser Wahrscheinlichkeit war das der Inspirationsort und das Modell für den Schauplatz. Mopsa, die Tochter von Carl und Thea Sternheim, sorgte für eine ständige «Invasion junger Leute» in Uttwil, darunter Klaus und Erika Mann und Pamela Wedekind, die Sternheim später heiratete.
Die Handlung der Komödie ist die: Nach den Wirren des Ersten Weltkrieges ist Neuorientierung gefragt. Der Dichter Siebenstern eröffnet in Uznach, in aller Weltabgeschiedenheit, eine Schule, in der Mädchen nach neuen pädagogischen Grundsätzen unterrichtet werden sollen, um danach «kess in die Lebensschlacht» zu springen, als offensiv-selbstbewusste Frauen. Und tatsächlich: Wild, frech und zynisch sind die Schülerinnen geworden, aber am Ende muss Siebenstern das Experiment zumindest partiell als gescheitert ansehen, denn eine seiner Schülerinnen kehrt zurück zu den Grundsätzen konventioneller und romantischer Liebe...
Während des Naziregimes waren Sternheims Werke verboten, er selber verfolgt. Er starb 1942 im besetzten Brüssel, nach langen Jahren des nervlichen und psychischen Leidens. (BP)

 

Zum Ort

Hinter «Uznach» könnte Uttwil stehen. Mit letzter Sicherheit lässt sich das nicht sagen. Aber jenes alte Fischerdorf zwischen Romanshorn und Konstanz in beschaulicher Lage, mit stattlichen Häusern am See und wunderbaren Obstgärten ist eng mit dem Leben Sternheims verbunden (siehe links). Vor den Sternheims hatten der belgische Architekt Henry van der Velde und der deutsch-elsässische Dichter René Schickele hier Wohnsitz genommen, später kam Annette Kolb hinzu. Für einige Jahre wurde Uttwil zu einem kulturellen Zentrum, dann noch einmal in den 1940er Jahren, als Emigranten hier Zuflucht suchten, darunter die berühmten Musiker Pablo Casals, Klara Haskil und Rudolf Serkin. Wer in die Atmosphäre Mitte der Zwanziger Jahre eintauchen will, sollte am Bodenseeufer spazieren gehen und Thea Sternheims Tagebuch auf einer Bank lesen: «Eine Woche prachtvollen Sommers. Ostwind. Das bewegte Ultramarin grenzenlos. Nachts ein phantastischer Vollmond. Heuernte. (...) Taumel ist in der Atmosphäre.»