Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Hermann Burgers «Schilten»

Schauplatz

«Wenn Sie durch das Hauptportal in den stichtonnengewölbten Schulhauskorridor treten, diesen Angsttunnel von unzähligen Schüler-Generationen, in dem es steinsüßlich und urinsäuerlich riecht, finden Sie linkerhand die Tür zum Unterstufenzimmer, rechts auf gleicher Höhe eine genau gleich große, gleich gestrichene und gleich beschriftete Tür, die einen gleich großen Unterrichtsraum vortäuscht. Öffnen Sie diese Tür unvorbereitet, als Schulhaus-Neuling, in Erwartung von Bankreihen und einer Wandtafel, tappen Sie in die gähnend leere Falle des Schiltener Gymnastiksaals. (...) Der Blick fällt auf die spärlichen abgewetzten Geräte, welche durch die großen Rundbogenfenster, von denen vier gegen Norden, zwei gegen Osten gehen, viel zu viel Licht bekommen: ein Reckgerüst, zwei Barren, ein Schwebebalken, eine einteilige Sprossenwand, ein Klettertau, ein Lederpferd, ein wackeliger Korbballständer.»

Hermann Burger: Schilten (1976)

 

© Wikimedia Commons

Labile und Lehramtskandidierende sollten diesen finsteren Roman besser meiden. Hermann Burger (1942-1989) erzählt die berufsbedingte Krankheits- und Todesgeschichte des Lehrers Armin Schiltknecht. In der Schweizer Provinz, im abgelegenen Schilttal, das die «Schönheit einer topografischen Totenmaske» trägt, versteckt sich der Ort Schilten – nur notdürftig verschleiert, denn dahinter versteckt sich das im Kanton Aargau existierende Schiltwald. Gleich hinter den Ortsteilen Inner- und Ausserschilten findet sich die Dorfschule, die auch Schildknechts Wohnung birgt, mit Blick auf den Friedhof, versteht sich. Zuhanden der Inspektorenkonferenz verfasst der junge Pädagoge einen «Schulbericht» in zwanzig Quartheften, um die Herren über die unhaltbaren Zustände zu informieren: Die Turnhalle werde vornehmlich zur Aussegnung Verstorbener verwendet, die Schulglocke diene als Totenglocke, der Heimatkundeunterricht müsse so zwangsläufig in eine «Todeskunde» kippen. Das Schulhaus in Schiltwald kannte Burger seit seiner Kindheit: «Ich bin im benachbarten Wynental aufgewachsen. Mit seinem Dachreiter und seinen Rundbogenfenstern im Erdgeschoß erinnerte es mich immer an eine Sektenkapelle.»
Bestimmendes Thema in «Schilten» ist, wie in allen Büchern des als Sprachmagier gefeierten Autors, die Macht des Todes über das Leben. Hermann Burger wählte 1989 den Freitod. (BP)

Zum Ort

Das Schulhaus, das gemeint ist, liegt in der Aargauer Gemeinde Schmidrued und ist das Schulhaus in Schiltwald. Zehntausendfach ist es auf einem Buchumschlag über die Theke gegangen, 1979 wurde es zum Setting der Verfilmung von Beat Kuert, in einer Verfilmung. Das geriet manchen Einheimischen in den falschen Hals. Das Schulhaus – 1912 eröffnet – kann von aussen besichtigt werden, in seinem Innern betreibt heute die Stiftung Sonderschule-Walde ein Schulheim mit Wocheninternat, das 18 Kinder beherbergt und fördert. Vom Schulhaus aus hat bei klarer Sicht einen Ausblick bis in die Jurahöhen. Und die Landschaft im Ruedertal ist lieblich. Sie heisst auch «aargauisches Emmental».