Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Einsiedeln
«Solchergestalt langten wir zu Einsiedeln an und kamen eben in die Kirche, als ein Priester einen Besessenen exorzisieret; das war mir nun auch etwas Neues und Seltsams, derowegen ließ ich Herzbrudern knieen und beten, solang er mochte, und gieng hin, diesem Spektakul aus Fürwitz zuzusehen. Aber ich hatte mich kaum ein wenig genähert, da schrie der böse Geist aus dem armen Menschen: ‹Oho, du Kerl, schlägt dich der Hagel auch her?› Ich habe vermeint, dich zu meiner Heimkunft bei dem Olivier in unsrer höllischen Wohnung anzutreffen; so sehe ich wohl, du läßt dich hier finden, du ehebrecherischer, mörderischer Hurenjäger. Darfst du dir wohl einbilden, uns zu entrinnen? (…).»
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicius Simplicissimus (1668)
Nachdem sich Simplicissimus und sein Freund Ulrich Herzbruder im Kriegstumult erst aus den Augen verloren und dann zufällig wiedergetroffen haben, schlägt der Freund eine gemeinsame Wallfahrt ins Kloster Einsiedeln vor. Simplicissimus ist nur mässig begeistert, denn er ist nicht besonders fromm. Dann freut er sich aber doch auf die Reise durch die Schweizerischen Gebiete, in denen kein Krieg herrscht. Umso grösser ist die Überraschung, als ihm, als er einem Exorzismus beiwohnt, ein böser Geist seine Kriegstaten vorhält. Simplicissimus wird im Schock von einer Art Beichtfieber befallen: «Wiewohl ich mich damals auf die Beichte nicht gefasst gemachet, auch mein Lebtag nie in Sinn genommen zu beichten […], so empfand ich jedoch in selbigem Augenblick in mir eine solche Reue über meine Sünden und eine solche Begierde zur Buße und mein ärgerliches und recht gottloses Leben zu bessern.» Simplicissmus beichtet ausgiebig und findet zum Katholizismus. Nach zwei Wochen vergeht ihm die Religion allerdings bereits wieder: Er erkennt, dass er nicht aus Liebe zu Gott, sondern nur aus Angst gebeichtet habe: «also ward ich auch nach und nach wieder ganz lau und träg, weil ich allmählich des Schreckens vergaß, den mir der böse Feind eingejaget hatte». Auch hält es die beiden Freunde nicht lange in Einsiedeln – nachdem «wir die Reliquien der Heiligen, die Ornat und andere sehenswürdige Sachen des Gotteshauses gnungsamen beschauet, begaben wir uns nach Baden, alldorten vollends auszuwintern.»
Simplicissmus schlägt sich als Draufgänger durch die Wirren des Dreissigjährigen Krieges. Der gleichnamige Roman (der vollständige Titel ist sehr, sehr viel länger) ist Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens (1621-1676) Hauptwerk, ein Schelmen- und Abenteuerroman und das wichtigste Prosawerk des deutschen Barock. (NP)
Das Kloster Einsiedeln im Kanton Schwyz, gegründet 835, liegt auf dem Jakobsweg und ist eine beliebte Pilgerstätte. Die Schwarze Madonna in der Gnadenkapelle (15. Jahrhundert) macht Einsiedeln zu einem der wichtigen Marienwallfahrtsorte für Katholiken. Die Stiftsbibliothek beherbergt über zweitausend Handschriften, Frühdrucke und Bände mit Inkunabeln.