Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Erich Mühsams Monte Verità

Schauplatz

Der Gesang der Vegetarier. Ein alkoholfreies Trinklied

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Auch Früchte gehören zu unsrer Diät.
Was sonst noch wächst, wird alles verschmäht.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.

Wir sonnen den Leib, ja wir sonnen den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.
Doch manchmal spaddeln wir auch im Teich,
Das kräftigt den Körper und wäscht ihn zugleich
Wir sonnen den Leib und wir baden den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.

Erich Mühsam: Aus Ascona (1905)

Zu Buch und Autor

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Tessin für viele Kunstschaffende und Intellektuelle zur Gegenwelt des urbanisierten, industrialisierten und technisierten Nordens, ein Zufluchtsort für Weltverbesserer aller Art. Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen und siedelten sich auf einem Hügel oberhalb von Ascona an: Henri Oedenkoven aus Antwerpen, die Pianistin Ida Hofmann aus Montenegro, der Künstler Gusto Graeser und der Ex-Offizier Karl Graeser aus Transsilvanien. Fotografische Dokumente zeigen sie in Reformkleidern oder nackt und mit langen Haaren, bei der Verrichtung von Garten- und Feldarbeit oder beim Bau schlichter Holzhütten. Auf dem Entspannungs- und Freizeitprogramm standen Eurythmie und Nacktbaden, in der Küche herrschte die vegetabile Lebensweise: Jegliche tierische Produkte waren tabu, es galt striktes Alkoholverbot.
Darauf und auf die naturnahe Lebensweise insgesamt bezieht sich Erich Mühsams (1878-1934) Spottgedicht (Zitat). Es ist eingebettet in den kurzen Bericht «Aus Ascona» (1905), in dem das Fischerdörfchen am Lago Maggiore als «entzückendster Fleck Erde, wo von den dunkeln Berggipfeln sehnsüchtige Schönheit sich im grünwelligen See spiegelt» gerühmt wird. Insgesamt aber äusserte sich Mühsam, der als einer der ersten Besucher Kunde gab vom Treiben auf dem Monte Verità, eher kritisch.
Der Dichter und Anarchist Mühsam war führend beteiligt an der Münchner Räterepublik und verbrachte nach deren Scheitern mehrere Jahre in Festungshaft. Während der Weimarer Republik kämpfte er für die Freilassung politischer Gefangener. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Erich Mühsam verhaftet und im Juli 1934 von der bayerischen SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet. (BP)

© KEYSTONE
Zum Ort

Der Monte Verità ist ein Hügel im Westen von Ascona im Tessin. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war er Sitz einer Künstlerkolonie mit europaweiter Ausstrahlung. Die Gründer Henri Oedenkoven und Ida Hofmann kauften das Gelände 1900 für 150'000 Schweizer Franken, um eine Kooperative zu gründen. Sie gaben ihm auch seinen Namen: Wahrheitsberg. Er wurde zu den bedeutendsten Wiegen alternativer Reformbewegungen. Zudem war er auch Sitz des Widerstandes gegen die autoritären Regime der Zeit. Dort sammelten sich Flüchtlinge und Kriegsverweigerer wie Hans Arp, Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann und Hugo Ball. Diesen Dichtern und Denker verdankt der Monte Verità seinen fortdauernden Ruf. Ein Hotel- und Tagungszentrum besteht bis heute.