Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Thomas Klings Zürcher «Bilderraum»

Schauplatz

Gartenschwamm. Dieter Roth, 5. Juni 1998

Kein säulensteher wie er saß: unverrückbar
Unverrücktn kopfes: ernst/sprachbereit
Kontrollinstanz z'züri in einem bilderraum
Das war zwei wochen ganz genau

Bevor er dann in basel stand auf seiner
Stiege fiel und nicht mehr lebte.
Von säulenstehermachers tod erfuhr ich da
Per Telefon weit unten an dem rhein

Es war sehr still der vogel sang der brombeer
Wuchs mit macht als diese nachricht kam
Der große punk/dionysos ist tot – rief es der
Garten schwamm vorbei.

Thomas Kling: Der Gartenschwamm (2003)

Zu Gedicht und Autor

Thomas Klings Gedicht «Gartenschwamm» von 2003 wurde erst kürzlich in dem Band «Das brennende Archiv» aus dem Nachlass des 2005 verstorbenen Dichters herausgegeben. Eine erste Spurensuche erschliesst interessante Zusammenhänge: Die Angabe hinter dem Titel, der 5. Juni 1998, ist das Todes-Datum des Bildhauers und Kunst-Tausendsassas Dieter Roth. Er war ein Künstler mit einem ungeheuer reichhaltigen Output in allen erdenklichen Medien: Gedichte, Möbel, Filme, Zeichnungen. Vor allem aber bleibt er als Bildhauer in Erinnerung, denn sein Umgang mit ungewöhnlichen Materialen – etwa in seinen Schimmel- und Schokoladenskulpturen – trug ab den 1960er Jahren zur Veränderung der Auffassung des Skulpturalen bei.
Bei Thomas Kling hat diese Materialästhetik auch für die eigene Dichtung grosse Bedeutung. Vom  überraschenden Tod Roths in seinem Atelier ist denn in der zweiten Strophe auch die Rede. Der Anfang des Gedichts ist hingegen reichlich undurchsichtig: Von einem «bilderraum» in Zürich ist die Rede, in dem Roth als Kontrollinstanz fungiert habe; dies «zwei wochen ganz genau».
Was es damit auf sich hat, erschliesst sich, wenn man den Nachruf recherchiert, den Thomas Kling zwei Tage nach Roths Tod in der «Basler Zeitung» publiziert hat: Dort berichtet er von einem Treffen mit Roth in Zürich. Ganz genau erfährt man es, wenn man in den Archiven des Zürcher Fotografen und Mäzens Andreas Züst stöbert; auf einer Fotografie mit dem Vermerk «23.5.1998, Galerie & Edition Marlene Frei, Zürich» (Bild) entdeckt man: Thomas Kling und Dieter Roth. Und von diesem 23.5. bis zu Roths Todestag sind es denn auch «zwei wochen ganz genau». Den Rest klärt ein Anruf in der Galerie von Marlene Frei selber: Frei erinnert sich gut an das Treffen und vermutet, dass Andreas Züst, mit Kling gut befreundet, den Kontakt zu Roth vermittelt habe. Inzwischen betreut Mara Züst den Nachlass ihres Vaters, macht diesen übers Internet einer breiten Öffentlichkeit zugänglich (siehe Link) und hat freundlicherweise auch besagte Fotografie zur Verfügung gestellt. (NP)

www.andreaszuest.net – Nachlass des Fotografen und Kunstsammlers Andreas Züst

Thomas Kling, Dieter Roth, 1998 © Archiv Andreas Züst, Graphische Sammlung, Schweizerische Nationalbibliothek, Bern
Zum Ort

Zürich hat sich zusammen mit London und New York zu einer Drehscheibe für zeitgenössische Kunst entwickelt, die Galeriendichte ist entsprechend. Ein wichtiger Ort der Rezeption von Dieter Roth, den «großen punk/dionysos» in Thomas Klings Gedicht ist die 1985 gegründete Galerie von Marlene Frei an der Zwinglistrasse in Zürich. Sie ist auf Gegenwartskunst spezialisiert. In den späteren 80er Jahren hat sie Roth exklusiv vertreten und bleibt über seinen Tod hinaus eine zentrale Anlaufstelle für Roth-Sammler.

 

http://www.marlenefrei.com – Galerie & Edition Marlene Frei