Kurt Tucholskys Badischer Bahnhof
«Das empfinde ich jedesmal, wenn ich durch Basel komme, aber es hat noch keiner geschrieben ... keiner. Der vollkommene Wahnwitz des Krieges muß doch jedem aufgegangen sein, der da etwa im Jahre 1917 auf diesem Bahnhof gestanden hat. Da klirrten die Fensterscheiben; da murrten die Kanonen des Krieges herüber; wenn du aber auf diesem Bahnhof einem Beamten auf den Fuß tratest, dann kamst du ins Kittchen. Hier durftest du nicht. Dort mußtest du. Und wer dieses Murren der Kanonen hörte, der wußte: da morden sie. Da schlagen sie sich tot. Ein halbes Stündchen weiter – da tobte der Mord. Hier nicht. Das hat keiner geschrieben, merkwürdig.»
Kurt Tucholsky (1890-1935) war einer der streitbarsten Autoren der Weimarer Republik, ein politisch engagierter Journalist und unermüdlicher Gesellschaftskritiker. Hellsichtig warnte er schon früh vor dem Erstarken der rechten Strömungen in Deutschland. Er selber verstand sich als Sozializt, Pazifist und Antimilitarist, was unmittelbar mit seinen Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg zusammenhing. Die «Basel»-Glosse geht so weiter: «Es steht da von dem großen englischen Grotesk-Zeichner W. Heath Robinson in ‹Some Frightful War Pictures› ein grandioses Blatt: ‹Ein schweizer Schäfer sieht einer Schlacht an der Grenze zu›. Da sitzt also der Schäfer inmitten seiner Bähbäh-Schafe und raucht eine Friedenspfeife, hinter sich hat er einen Topf mit schweizer Milch stehn, und auf dem benachbarten Berge steht eine Sennerin mit etwas Ziege, und ein kleiner Mann jodelt Noten in die Luft ... Die Grenze aber ist ein scharfer, punktierter Strich. Und hinter dieser Grenze, da gehn sie aufeinander los, die Deutschen und die Engländer, immer ganz genau an der Grenze entlang, und selbst die heruntergefallenen Mützen bleiben artig im Kriegsgebiet liegen und oben am Himmel ist ein wildes Gewimmel von Zepps und Flugzeugen, aber immer hübsch an der Wand lang und keinen Millimeter drüber. Und der Schäfer raucht. So ähnlich wird es ja wohl gewesen sein.»
Woher aber kam Tucholsky und wohin wollte er? Er kam im Juli 1932 aus Paris und war über Basel unterwegs zu einer Diätkur in Tarasp, Unterengadin. Anschliessend verbrachte er noch einige Tage auf Aline Valangins Sommersitz im Onsernone-Tal. Als Tucholsky zu Beginn der dreissiger Jahre einsehen musste, dass alle seine Warnungen vergeblich waren, begann er publizistisch zu verstummen. Der kurze Text über Basel ist einer der letzten aus seiner Feder, die noch in der «Weltbühne» abgedruckt worden sind. Er erschien im Januar 1933. Für grössere literarische Formen fehlte Tucholsky in den letzten Lebensjahren schlicht die Kraft. 1935 starb er an einer Überdosis Schlaftabletten im schwedischen Exil. (BP)
Der Badische Bahnhof in Basel ist ein deutscher Grenzbahnhof auf Schweizer Staatsgebiet. Sein Vorgänger, der alte Badische Bahnhof, war aufgrund von Verträgen zwischen dem Grossherzogtum Baden, der Eidgenossenschaft und dem Kanton Basel-Stadt im Jahre 1855 am Riehenring eröffnet worden, wo heute die Basler Messe steht. Der zunehmende Verkehr und die direkte Anbindung an das schweizerische Bahnnetz sprengten jedoch schon bald das Fassungsvermögen, sodass der Bahnhof um rund einen Kilometer an seinen heutigen Standort verlegt wurde. Entworfen wurde das neue Gebäude vom Schweizer Architekten Karl Moser (1860-1936), eröffnet wurde der neue Bahnhof 1913. Heute ist der Badische Bahnhof nicht nur eine Verkehrsdrehschreibe, sondern auch ein Kulturort: In den ehemaligen Buffets erster und zweiter Klasse ist seit 2002 der «Gare du Nord – Bahnhof für Neue Musik» angesiedelt, das erste experimentelle Musikzentrum der Schweiz, in dem unter anderem bereits Christoph Marthaler und Herbert Wernicke Theateraufführungen inszeniert haben. Mit der «Bar du Nord» gibt es zudem einen multifunktionalen Veranstaltungsraum, den man direkt von den Bahnsteigen aus betreten kann und in dem regelmässig Fussballspiele auf Grossleinwand übertragen werden.