Karl Mays San Salvatore
«Von goldnem Sonnenglanz belichtet,
Liegt weiß die Stadt am blauen See,
Ein Märchen, von Gott selbst gedichtet,
Und seine Güte ist die Fee.
Grünsammtne Matten zu den Füßen,
Stehn eng die Bergeswächter da,
Gebenedeit von dir, der süßen
Kapelle Salvadoria.»
Karl May: San Salvatore (1899)
1899, er ist fast sechzig und seine berühmtesten Bücher sind geschrieben, unternimmt Karl May eine Reise in den Orient. Auf dem Hinweg nach Genua macht er Station in Lugano. Und diesen Aufenthalt in der Schweiz bearbeitet er dichterisch, als ersten Teil eines geplanten Gedichtbands mit dem Titel «Eine Pilgerreise in das Morgenland».
Zum Inhalt: Nachdem, zwischen «grünsammtnen Matten» und den engstehenden «Bergeswächtern» eine Kapelle erspäht wurde, begibt sich das lyrische Ich in Karl Mays «San Salvatore»-Gedicht in das Bethaus hinein und entdeckt dort zu seinem grossen Entsetzten: ein Gästebuch. Der Held notiert in das Buch erbost: «ist noch Einer so vermessen,/ Hier zu ‹verewigen› sein Nichts,/ So sei sein Name einst vergessen/ Dafür am Tage des Gerichts!» – Seine Warnung fruchtet nicht, denn als er die Kapelle noch einmal besucht, findet er darin nicht nur weitere Einträge, sondern auch eine dichterische Replik: «Der allerdümmste Kerl auf Erden/ Ist Der, der diesen Quatsch geschmiert;/ Er wird bald reif zum Tollhaus werden/ Und mit dem Rohrstock auskurirt.» Diese absurde Situation spiegelt Mays Hass auf den Tourismus. Mays Fans überzeugte diese lyrischen Ergüsse allerdings weit weniger als die früheren Geschichten aus den Steppen Amerikas und den Wüsten des Orients. Als Anekdote zur Tourismus-Geschichte um 1900 ist das Gedicht freilich vergnüglich.
Möglicherweise ist ein erster Entwurf vor Ort entstanden, an dem Gedicht geschliffen hat May dann aber anderswwo. Ganz so wie sich Amerika und der Nahe Osten aus der Heimat entwerfen liessen, hatte May iustigerweise den Drang, seine Europa-Eindrücke in Ägypten zu verarbeiten: In Kairo angekommen, feilte er an den Reimen zu Gedichten wie «Auf Rigi-Kulm», «Am Gotthard» oder eben: «San Salvatore». Gut möglich, dass Karl May im Salvatore-Text von der Kapelle «San Michele» spricht, die in der Castagnola oberhalb von Lugano liegt und von der aus man – wie im Gedicht – zugleich auf die Stadt hinunter- und auf den Monte San Salvatore hinübersehen kann. (NP)
Er ist das Wahrzeichen der Stadt Lugano und ein Panoramaberg der Extraklasse: Der San Salvatore bietet nicht nur auf alle Seiten herrliche Aussichten, sondern auch unzählige Wanderwege. Als Klassiker schlechthin gilt die Tour vom Gipfel durch Kastanienwälder an den See nach Morcote. Den Aufstieg kann man sich aber schenken: Die Standseilbahn führt ab Lugano-Paradiso in zwölf Minuten auf 909 Meter. Touristen ziehen im Sommer heute nicht nur die Kapelle und das Gästebuch an, sondern auch Restaurants und Open-Air-Konzerte.