Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Karl-Heinz Otts Basel

Schauplatz

«Keine fünfzig Schritte von meiner Wohnung aus entfernt, schräg gegenüber, liegt mein Seminargebäude. Durch ein mächtiges Holzportal gelangt man in einen von Efeugemäuern und Fachwerkfassaden eingedunkelten Innenhof der auf einer Seite zu den philosophischen, auf der anderen Seite zu den philologischen Abteilungen führt. Über eine an Burgen erinnernde Turmtreppe gelangt man bis unter das zur Bibliothek ausgebaute Dach hinaus, zwischen dessen freigelegtem Gebälk die in zweieinhalbtausend Jahren gesammelten, um Sein und Nichts sich rankenden Gedanken aufgereiht sind.»

Karl-Heinz Ott: Endliche Stille (2005)

© Wikimedia Commons
Zu Roman und Autor

Etwas im Argen liegt das Leben des Philosophieprofessors von Anfang an: Er hat zwar eine universitäre Festanstellung erreicht und das an einem, wie man im Zitat sieht, lauschigen Ort. Doch ist seine Ehe in die Brüche gegangen und auch seine Forschung befriedigt ihn nicht: Seit das Philosophieren zum Alltag geworden ist, schreibt er, «haben diese Fragen ihre Dringlichkeit verloren und sich in ein Spiel verwandelt, in dem beliebig viele Antworten sich widersprechen.» Ganz handfest werden nun die Probleme, als ihn auf einer Reise ein Fremder anspricht, um unablässig auf ihn einzureden. Denn der ungebetene Monologisierer wähnt sich bald in tiefer Freundschaft zum Professoren, sucht ihn in Basel heim und nistet sich dort in dessen Wohnung ein. In der beständig vollgequalmten Küche stapeln sich bald die Teller und der Held sieht sich mit seinem Wunsch – dem titelgebenden «Endlich Stille» – zu Fluchten aus den eigenen vier Wänden gezwungen.
In einer der lustigsten Szenen übernachtet er so in seinem Büro in den alten Institutsräumen und versucht, selber an der Grenze zur Verwahrlosung, den Schlafsack vor den Kollegen zu verstecken. Der Handlungsort, das sogenannt «Schöne Haus» am Nadelberg in der Basler Altstadt, entspricht Otts Beschreibungen genau: Das Holztor, die efeuverhangenen Hofmauern und die Turmtreppe, die zu Institutsräumen der Universität Basel führt. Gebaut wurde der Häuserkomplex im dreizehnten Jahrhundert und ist somit einer der ältesten nichtsakralen Steinbauten Basels. Ott hat sich offenbar auch in dessen Innenräumen ausgiebig umgeschaut: Genannt werden so etwa die «verblaßten Wand- und Deckenmalereien», die, im Verlauf der Geschichte überpinselt, in den 1960er Jahren wiederentdeckt wurden und seither Gegenstand kunstwissenschaftlicher Arbeiten sind. In den oberen Etagen findet sein Erzähler eine «mittelalterlich anmutende, aus klösterlichen Studierstuben bestehende Welt, in deren Erkern und Sekretariatsstuben man sich nicht nur in die Zeit eines Jacob Burckhardt, sondern noch weiter zurück in diejenige von Erasmus zurückversetzt glauben könnte, würden nicht auch Kopierer, Computer und Kaffeemaschinen in den Büros und Fluren herumstehen.
Für den Showdown, die finale Konfrontation mit dem Quälgeist, wählt Ott aber nicht die Basler Altstadtkulisse, sondern die Bergwelt. (NP)

Zum Ort

Basel ist die kleine Weltstadt der Schweiz. Halb so gross wie Zürich und knapp kleiner als Genf, fungiert die Stadt an der Rheinbiegung im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz als «Tor zur Welt»: Über die Rheinhäfen bei Basel werden 10 Prozent des schweizerischen Aussenhandels abgewickelt. Basel ist die grösste Messestadt der Schweiz, beherbergt zwei der grössten globalen Pharma-Konzerne (Novartis und Sandoz) und hat die älteste Universität und die grösste Museumsdichte (40 Museen) des Landes. Das Basler Theater gehört zu den führenden deutschsprachigen Bühnen, das Stadion St. Jakob ist die grösste Sportstätte der Schweiz. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als ein Konflikt zwischen der konservativen Stadt und der liberalen Landschaft durch eine Kantonstrennung abgewendet wurde, ist Basel-Stadt als Stadtstaat ein Halbkanton mit nur einer Standesstimme im nationalen Parlament. Basel lebt und pflegt eine Andersartigkeit von der übrigen Deutschschweiz, die vom Dialekt (nahe am badischen Alemannisch) über das Verhalten in politischen Abstimmungen bis zum Brauchtum der Basler Fasnacht reicht, die am Montag nach Aschermittwoch mit dem «Morgeschtraich» um 0400 Uhr beginnt und die Stadt drei Tage in Beschlag nimmt. Kulinarischer Geheimtipp: Das «Läggerli», ein nur in Basel hergestelltes Lebkuchengebäck.