Gerold Späths «Barbarswil»
«Die Nixe wälzte sich, vom Netz umschlungen, und lächelte ihn an und kicherte; ihr wellendes Haar, grünblau lichtschimmernd vor Schwärze, und ihr immerjunges Gesichtchen, ihre perlglänzenden Zähnchen.
‹Du hängst da drin, das glaubt mir keiner!›
Etwas anderes wusste er nicht zu sagen, ihr Anblick ging ihm durch und durch. Alabaster, Gold, Bernstein, Elfenbein.
Na, Beck, übertu dich nicht. Sag lieber nichts, sie ist ja schon aus dem Netz hinausgeschlüpft. (...)
Sie kam aus der Tiefe herausgepfeilt und schoß vor ihm hoch mit offenen Armen und fiel kichernd ins Wasser zurück, dass es spritzte, und als er wieder über die Planken spähte, sah er sie in einer langen Kurve geschmeidig wegtauchen, ein Wunder, ein wahres Wunder, grüngolden, schneller als jeder Fisch.»
Gerold Späth: Barbarswila (1988)
Im ersten Kapitel berichtet der Ich-Erzähler, «weshalb ich wieder einmal nach Barbarswil ging». Von weitem sieht er «in den Nachtnebelstreifen am anderen Ufer die Stadt, das Städtchen, schwebend in weißem Dunst, so sah es aus und stieg langsam hervor, seine ragenden Türme und darunter die Dächer, die Häuser.» Und dann berichtet er in weiteren achtundvierzig Kapiteln, quasi allgegenwärtig, was die Bewohner und Bewohnerinnen des schmucken Städtchens so treiben, an einem einzigen langen Tag: Welches Wunder der Fischer Beck erlebt (Zitat), wie Signor Casagrande erwacht, wie die schöne Helen tanzt, weshalb Isabella Hess rast, mordet, taumelt und lächelt und vieles, vieles mehr...
Gerold Späth (Jg. 1939) ist gebürtiger Rapperswiler, er hat, unterbrochen von einigen Auslandaufenthalten, mehrere Jahrzehnte in dieser pittoresken Kleinstadt am Zürchersee gelebt, mit der ihn ganz offensichtlich eine produktive Hassliebe verbindet. «Rapperswil ist der Raum, in dem meine Geschichten wohnen, hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich die Übersicht und die Durchsicht», erklärt der wortmächtige Fabulierer. In den drei thematisch zusammenhängenden Romanen «Unschlecht» (1970), «Balzapf oder als ich auftauchte» (1977) und «Barbarswila» (1988) figuriert Rapperswil unter den nicht eben schmeichelhaften Namen «Spiessbünzen», «Molchgüllen», «Barbarswil», wahlweise (und im Romantitel) «Barbarswila» – Letzteres wohl nicht zuletzt als dichterische Verneigung vor einem anderen grossen schelmenhaften Provinzstädtchen gedacht: Gottfried Kellers Seldwyla. Der Schauplatz Rapperswil lässt Späth übrigens noch immer nicht los, auch in späteren Texten ist Kleinstadt am See ein Thema, in «Aufzeichnungen eines Fischers (das erste Jahr)» (2006) und «Mein Lac de Triomphe. Aufzeichnungen eines Fischers (das zweite Jahr)» (2007). (BP)
Dass Rapperswil auch die «Rosenstadt» genannt wird, hat seinen Grund: in der Stadt erblühen am Ufer des Zürichsees und in zahlreichen Parkanlagen über 20̍000 Rosenpflanzen und auch das Stadtwappen wird von zwei roten Rosen auf silbernem Grund geziert. Das mittelalterliche Schloss thront über der Stadt und dem See und ist das Wahrzeichen. Vom Schlosshügel bietet sich ein Panoramablick von den Glarner Alpen bis ins Zürcher Oberland. Über den See ans gegenüberliegende Ufer führt nicht nur der Seedamm, sondern auch eine Fussgängerholzbrücke, die längste Holzbrücke der Schweiz. Knies Kinderzoo ist beliebtes Ausflugziel für Jung und Alt, die vielen Kursschiffe auf dem Zürichsee landen gleich in der Nähe an.