Friedrich Schillers Hohle Gasse
«Vierter Aufzug/Dritte Szene. Die hohle Gasse bei Küssnacht. Man steigt von hinten zwischen Felsen herunter und die Wanderer werden, ehe sie auf der Szene erscheinen, schon von der Höhe gesehen. Felsen umschließen die ganze Szene, auf einem der vordersten ist ein Vorsprung mit Gesträuch bewachsen. Tell tritt auf mit der Armbrust:
Durch diese hohle Gasse muss er kommen,
Es führt kein andrer Weg nach Küssnacht – Hier
Vollend ich's – Die Gelegenheit ist günstig.
Dort der Holunderstrauch verbirgt mich ihm,
Von dort herab kann ihn mein Pfeil erlangen,
Des Weges Enge wehret den Verfolgern.
Mach deine Rechnung mit dem Himmel Vogt,
Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen.»
Friedrich Schiller: Wilhelm Tell (1803/04)
Das Tell-Drama um Apfelschuss, Tyrannenmord und Freiheitskampf braucht kaum mehr vorgestellt zu werden. Ebenso wenig Friedrich Schiller (1759-1805), Deutschlands grösster Dramatiker. Weniger bekannt sind die Entstehungsumstände: Als Schiller um 1800, im fernen Weimar, nach dem Tell-Stoff griff, hatte dies nicht zuletzt ökonomische Gründe. Schiller war einer der ersten Schriftsteller im modernen Sinne – hinter ihm stand kein Gönner, kein Mäzen, auch war er kein Hofbeamter, wie der befreundete Goethe. Er ernährte sich und seine vielköpfige Familie von dem, was er schrieb. Der Wilhelm Tell – actionreiche Handlung, grandiose Kulisse – war da die richtige Wahl.
In seiner Weimarer Mansarde stürzte sich Schiller buchstäblich in das Studium der Quellen, las und notierte, nächtelang. «Ich bin genötigt, viel darüber zu lesen, weil das Locale an diesem Stoffe soviel bedeutet, und ich möchte gern soviel möglich örtliche Motive nehmen.» Im Laufe der Monate bedeckten sich die Wände allmählich mit Zetteln, Skizzen, Graphiken und Karten.
Aus den aufgehäuften Materialbergen wählte Schiller mit scharfem Blick für das Wirksame aus. Der Darstellung von Gebirgs- und Seekulisse widmete er sich mit besonderer Sorgfalt. Und nicht von ungefähr avancierte das Drama in gedruckter Form zum Reiseführer durch diejenige Landschaft, die Schiller selbst nie gesehen hatte. Urs Widmer bestätigt bei Recherchen vor Ort: «Schiller muss mit dem Vergnügen eines Kopfreisenden auf seine Karte geblickt (...) haben. Er macht keine Fehler. Keine Angaben, die sich widersprechen. Die Wege wären abschreitbar.» (BP)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Hohle Gasse durch die Zunahme des motorisierten Verkehrs quasi entweiht. Nicht länger war ein mittelalterlicher Hohlweg zu sehen, sondern eine gewöhnliche asphaltierte Strasse. Man entschloss sich daher zur „Rettung“ der Hohlen Gasse. Im Oktober 1935 richtete die Caritas das freiwillige «Arbeitslager Tellenheim» für durchschnittlich 40 Teilnehmer ein, die meisten davon arbeitslose Jugendliche, die anschliessend wieder in den normalen Arbeitsprozess eingegliedert werden. Während der Restaurierung, bei der Schillers Bühnenanweisung als wichtige Anregung diente (siehe Zitat), legte man den Weg tiefer an, verengte ihn, fasste ihn mit groben Felsblöcken ein, bepflanzte diese mit Gebüsch und pflasterte den Erdboden mit unbehauenen Steinen - ein seltenes Beispiel, in dem die Literatur die Wirklichkeit beeinflusst. Die feierliche Einweihung fand am 17. Oktober 1937 statt, es war ein Ereignis von nationaler Bedeutung und natürlich bereits ein Element der «Geistigen Landesverteidigung»: Anwesend waren Bundesräte, Vertreter aus beinahe allen Landesteilen und 25 Kinderpaare, aus jedem Kanton eines. Heute gehört zum Angebot auch ein Ausstellungspavillon mit Info-Show.