Felicitas Hoppes Leuk
«In dieser Nacht zogen wie kleine unbekannte Inseln Visp, Raron, Gampel-Steg und Turtmann vorüber. Aber dann, hinter dem letzten Vorhang aus Flocken, erschien LEUK. Und zwischen Ober- und Unterstadt, zwischen Bahnhof und Burg, Rhone und Rathaus, auf eine beschneite Geländeterrasse zwischen Himmel und Erde perfekt in den Goldenen Schnitt der Landschaft gesetzt, erhob sich eine kleine kräftige Kirche.»
Nach einer langen Zugreise von Berlin und einer aufreibenden Tunnelfahrt, die in Hoppe Erinnerungen an klaustrophobische Momente in einem steckengebliebenen Lift in einem Moskauer Hotel wachruft, gelangt die Heldin an ihr Ziel: Leuk im Kanton Wallis. Als «besten Platz der Welt» malt sie sich auf der Reise ihre Unterkunft aus, «mit Blick auf ein Tal, das ich noch nie gesehen habe und das ich vielleicht gar nicht sehen will, weil ich zeit meines Lebens nur davon träumte und bis ans Ende weiter nur davon träumen will.» Damit ist auch der Grundton für das Buch gelegt: Idyllisch geht es zu und her, denn Hoppe weiss sich in Leuk einzurichten, treibt sich ausgiebig in altem Kirchengemäuer herum und liest sich in die Mythen der Gegend ein. Doch dies mindert ihre Umtriebigkeit nicht. Mit einem per Zufall kennengelernten Bergsteiger will sie in die alpinen Höhen steigen und verkündet vollmundig: «[W]ir ziehen das Spiel der Erlösung vor, den Tumult dem Schlaf, den Ehrgeiz der Ruhe und den Sport einer trostlosen Ewigkeit». Zwar folgt sie dem Bergsteiger dann primär auf dessen Zimmer, die Sätze, die sie über die Wander- und Bergsteigelust schreibt, behalten aber ihre Berechtigung – in Bezug auf Hoppes eigentlichen Hochleistungssport: ihr Schreiben.(NP)
Felicitas Hoppe wurde 2004 der «Spycher»-Literaturpreis zugesprochen, der dem Gewinner, der Gewinnerin Gastrecht im ehemaligen Bischofsschloss von Leuk gewährt, mit der Auflage, einen dort entstehenden Text in dem mit dem Preis assoziierten Dörlemann-Verlag zu publizieren. Hoppe machte ihren Leuker Aufenthalt selber zum Thema, womit Autorin, Erzählerin und Romanfigur eng zusammenrückten. Ihr Schauplatz, das Bischofsschloss, ist eines der beiden Wahrzeichen von Leuk und wurde bei einer umfassenden Renovation durch eine Glaskuppel von Mario Botta ergänzt. Das andere Wahrzeichen ist das «Beinhaus», in dem seit Ende des 15. Jahrhunderts die sterblichen Reste jener Toten aufbewahrt wurden, für die der Friedhof zu klein geworden ist. An der Wand steht: «Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, das werdet ihr».