Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Cécile Ines Loos' Freiberge

Schauplatz

«Plötzlich sagte der Grossvater zu uns: ‹So, Kinder, jetzt fahren wir in das Land der Pferde.› Ich erschrak so, als hätte jemand auf mich geschossen, denn ich hatte bisher noch nichts gehört von Tieren, die Länder besitzen, der Gedanke an ein Land der Pferde durchfuhr mich mit einem Schauer, denn ich stellte mir leibhaftig vor, daß Pferde auf sonderbare Weise die Besitzer eines Landes sein könnten. (...) Ich stelle mir vor, wie das sein müßte, wenn plötzlich ein hohes, langgesichtiges Tier mit übergroßen, glänzenden Augen über uns herrschte. Dieses Tier käme dann ganz langsam auf uns zu und sagte: ‹Von nun an gehört ihr in mein Reich.›»

Cécile Ines Loos: Hinter dem Mond (1942)

© KEYSTONE
Zu Roman und Autorin

«Sie träumt noch bei lichterlohem Verstand», sagte Max Frisch einst über Cécile Ines Loos. Und ein Beweis dafür ist der Roman «Hinter dem Mond» mit den Passagen über ein geheimnisvolles Reich auf den Jurahöhen. Ein kleines Mädchen reist mit Bruder, Schwester, Kindermagd und Grossvater in den Berner Jura, wo sie auf dem Gut eines Bekannten unterkommen sollen. Aus einer alltäglichen Zugfahrt wird von Beginn an eine Reise in eine Märchenwelt, denn die überbordende Fantasie der kleinen Erzählerin wird schon in Gang gesetzt, als der Grossvater vom Ziel als dem «Land der Pferde» spricht (Zitat). Für schweizkundige Leserinnen und Leser ist sofort klar, was damit gemeint ist (und es wird noch bestätigt durch die Ortsnamensnennung La Joux): Die Reise führt in die Jura-Hochebene, in die Freiberge, seit Jahrhunderten ein Zentrum der Pferdezucht. Doch das kleine Mädchen sieht in den Pferden oben auf dem Berg nicht Tiere, sondern Engel: «Engel oder Pferde, und ich entsinne mich, daß ich einmal in einem heiligen Buch ein Pferd gesehen habe mit Flügeln.» Und das Gebäude, in dem die Concours, das Kunstreiten, vorgeführt werden, das ist natürlich das Haus der Pferde: «Auf dem Berg steht ein Haus mit zwei Türmen wie ein Palast, und inwendig sind weite Hallen.» Die Erzählung ist kurz, und doch gelingt es Loos, durch die Augen des Kindes die Juralandschaft hinzutupfen: die Weiden, die Hügel, die Berge, das Moos, das Gras, den Nebel und den Geruch von Thymian...
Cécile Ines Loos (1883-1959) hat ein hartes Leben geführt. Früh verwaist, hat sie sich erst selbst, dann als alleinerziehende Mutter auch ihren Sohn, mit allerlei Hilfsarbeiten über Wasser gehalten, immer am Rande der Erschöpfung, immer in Armut. Viele Jahrzehnte hat sie in Basel verbracht, dort haben Professorengattinen für die Universitätsbibliotheksmitarbeiterin Geld gesammelt — diese Spende hat es ihr ermöglicht, sich für ihre letzten drei Lebensjahre im Basler Bürgerspital in Pflege zu begeben. 1959 ist sie dort gestorben. (BP)

Zum Ort

Die Freiberge (französisch: Franches-Montagnes) sind dünn besiedeltes Hochplateau im Jura. Sie gehören teils zum 1979 gegründeten Kanton Jura, teils zum Kanton Bern und waren ein Hauptschauplatz des jahrzehntelangen Jurakonflikts. Über die Hälfte der Landschaft sind Wald und Weiden, darunter Hochmoore und Waldseen, von denen der «Etang de Gruère» der verwunschenste ist. Im Hauptort Saignelégier findet am zweiten Sonntag im August der nationale Pferdemarkt «Marché-Concours» statt. Die Freiberger, gezüchtet auf Betreiben der Schweizer Armee, sind die einzige einheimische Pferderasse der Schweiz. Einer der berühmtesten Freiberger ist der Hengst «Vaillant», geboren 1891, auf den über zwei Drittel der Freiberger Pferde zurückgehen.