Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Otto F. Walters Maderanertal

Schauplatz

«Echt spannend, die Urschweiz! Ruth, schon fünfzig Meter weiter vorn, weiter oben, rief etwas. Jetzt nahm er wieder wahr, dass das Tosen des Wassers aus der Schlucht neben dem Weg überhaupt nicht leiser geworden war. Ruth zeigte nach vorn. Das Kurhaus! Das Wort hier in der Wildnis klang wie ein Witz. Kurhaus. Salon de thé. No brown after six. Ihr Bad ist bereit, Monsieur. Unsere Gäste werden gebeten, zum Dinner in Dunkel zu erscheinen. Den Juliénas 78 kann ich Ihnen besonders empfehlen. Wander stapfte weiter.«

Otto F. Walter: Das Staunen der Schlafwandler am Ende der Nacht (1983)

© Heinz Grimm, Balsthal
Zu Roman und Autor

Ein frisch verliebtes Pärchen will aus dem kaltnassen Norden ab in den Süden. Doch kurz vor dem Gotthard kommen Ruth und Wander vom Weg ab und landen in einem einsamen Urner Bergtal, in dem ein märchenhaftes altes Kurhaus stehen soll. Die letzte Strecke muss zu Fuss zurückgelegt werden und tatsächlich, da steht es: «Der Himmel hinter dem Kurhaus und über den weißen Berggifpeln begann blau zu strahlen. Verwunschen, phantastisch (...) Endlich dann oben. Dreißig Meter Kiesweg, dann standen sie vor dem Eingang. In klassizistischer Strenge stand drüber Entrée.»
Die beiden Neuankömmlinge sind die letzten Gäste der Saison und inmitten von bröckelndem Prunk erleben sie Erotisches und Verstörendes. Das Maderanertalkapitel fällt scheinbar aus dem Rahmen des Romans «Das Staunen der Schlafwandler am Ende der Nacht». Otto F. Walter, dem streitbaren und stets politisch aktiven Lektor und Schriftsteller, ging es in diesem Achtziger-Jahre-Text um brennende Themen wie Verlust der freien Meinungsäusserung, Medienmonopole, Verfilzung und Öko-Katastrophen. Der Roman ist ein Zeitdokument, in gewisser Weise auch zeitgebunden: Was sich aus heutiger Sicht mit grossem Vergnügen lesen lässt, ist zweifellos das Maderanertalkapitel, ein modernes Märchen um ein verwunschenes Tal. (BP)

Zum Ort

«Ein Ziel von märchenhafter Schönheit; wie auf einem Feenthrone steht das Kurhaus auf dem schwarzen Waldhügel. Einmal angekommen, sind wir zu beneiden, mehr aber noch die Kurgäste. So mächtig wie beim Kurhaus habe ich den Tannenduft nirgends gefunden. Dazu die reine Bergluft, die Gletschernähe, das Fehlen jeder Blendung, das herrliche Symphonie-Konzert der Bäche und Wasserfälle (...)», so schwärmte Carl Spitteler 1897 in einer Werbebroschüre für die Gotthard-Route. Und es stimmt, man kann alles noch so vorfinden wie beschrieben. Die Fahrt von Amsteg nach Bristen wird als eine der eindrücklichsten Schweizer Postautorouten angepriesen. Ab Bristen geht es dann auf den Spuren von Ruth und Wander zu Fuss weiter bis zum Hotel Maderanertal. Die Gästebücher von einst weisen so illustre Namen auf wie Nietzsche, Brahms, Amiet, Bismarck, Adenauer, Rubinstein, Hauptmann sowie den Blaublutadel halb Europas.