Leipziger Buchmesse 2014
13. — 16. März 2014
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Friedrich Dürrenmatts «Durcheinandertal»

Schauplatz

«(...) die Feuerwehrmänner spritzen und spritzten, ihre Wasserlanzen trieben Gestalten vor sich her, sie überschlugen sich, wurden durch die Kraft des Wasserstrahls wie Pakete ins Feuer zurückgeworfen, der Wald, der Himmel nahmen die Farbe der Hölle an, jemand vermochte sich zu befreien, lief mit lichterloh brennenden Kleidern den Bauern entgegen, einer von ihnen schlug mit der Axt zu, der Mann stürzte zu Boden, immer noch in Flammen, drei Männer schoben ihre Heugabeln unter den brennenden, schreienden Mann, trugen ihn gegen das Kurhausportal, warfen ihn hinein, das Kurhaus begann in sich zusammenzubrechen, die Bauern und Weiber stoben auseinander, Lustenwyler, der Polizist, raste in einem Jeep herbei, aber offenbar stockbetrunken, war er über das Steuer gesunken und fuhr durch das Portal, das über ihm zusammenstürzte, und die Dependance, von der Feuerglut erfaßt, die sie durch den unterirdischen Verbindungsgang ansog, loderte auf, eine einzige Flamme.»

Friedrich Dürrenmatt: Durcheinandertal (1989)

© Wikimedia Commons (cc-by-sa-2.0)
Zu Roman und Autor

Gibt es einen merkwürdigeren Ort als das Kurhaus im «Durcheinandertal»? Im Sommer finden sich dort Millionäre ein, die sich von ihrem anstrengenden Lebensstil erholen wollen. Und tatsächlich beginnen sie Mangel und spartanische Einrichtung zu geniessen. Im Winter wird das Kurhaus zur Verbrecherhöhle eines global operierenden Syndikats. Die Dorfbewohner werden aus lauter Langeweile schikaniert und drangsaliert, bis sie sich zur Wehr setzen und grausam rächen, was man ihnen angetan hat. Das Kurhaus wird in Brand gesteckt und wer fliehen will, wird mit Heugabeln und Wasserwerfern ins Inferno zurückgeworfen.
«Gangster, Irre, Gottsucher treten auf, viele vertrottelte Subjekte, vor allem aus der Sphäre schweizerischer Staatsverwaltung», notierte «Der Spiegel» bei Erscheinen. Nicht von ungefähr gilt der Roman auch als poetisches Testament Dürrenmatts, denn «‹Durcheinandertal› ist sein letzter vollendeter Roman. Der Autor starb 1990 an Herzversagen, im Alter von 69 Jahren. (BP)

Zum Ort

Wie bei vielen der von Dürrenmatt geschaffenen Orte, ist auch beim «Durcheinandertal» unklar, wo es liegt. Das Kurhaus hat nachweislich das Waldhaus Vulpera in der Nähe von Scuol im Unterengadin zum Vorbild, wo Dürrenmatt ab 1959 regelmässig Gast war. Gespenstisch: Wie das Kurhaus im Roman, fiel auch das reale Waldhaus einer Brandstiftung zum Opfer, und dies genau im Erscheinungsjahr 1989. Das Grand Hotel brannte innerhalb weniger Stunden bis auf die Grundmauern ab, der Fall ist ungeklärt. Heute ist ein Park mit einigen Überresten der Neorenaissance-Hotelarchitektur zu besichtigen.